Das Gesundheitssystem in Ghana lässt sich zugespitzt als nahezu nicht existent beschreiben. Wer seine Behandlung nicht bezahlen kann, muss im Zweifelsfall sterben. Und: Ärzte, besonders Fachärzte, sind rar. Für schwierige Fälle gibt es oft keine geeignete Behandlung in erreichbarer Nähe.
Der Hofer Urologe Dr. Hansjörg Keller hat vor einigen Wochen in der ghanaischen Kleinstadt Akwatia einen Jungen operiert, der nach einem Unfall vier Jahre lang mit einem Gartenschlauch in der Blase gelebt leben musste und nur durch diesen Schlauch Wasser lassen konnte. Im Rahmen eines Hilfseinsatzes mit dem Verein „Die Ärzte für Afrika“ hat Dr. Keller die Harnröhre des Jungen rekonstruiert.
Schon vor seiner Pensionierung hat Dr. Hansjörg Keller als Chefarzt der Urologie, Kinderurologie, Urologischen Onkologie und Palliativmedizin am Sana Klinikum Hof zwei bis drei Mal im Jahr Kinder aus Drittländern operiert. „Das hatte ich, als ich nach Hof gekommen bin, mit der Geschäftsführung so vereinbart, und das hat immer gut geklappt“, erzählt Dr. Keller. Die Kosten hat das Sana Klinikum übernommen, teils mit Unterstützung des Rotary-Club Hof-Bayern. Ab und an hat Dr. Keller in Fachkreisen von diesen anspruchsvollen Operationen berichtet – weshalb nach seiner Pensionierung der Verein Ärzte für Afrika an den Experten herangetreten ist und um Unterstützung gebeten hat.
Nächster Einsatz
Der gemeinnützige Verein, der seit 2007 besteht und sich ausschließlich durch Spenden finanziert, unterstützt einen Klinikverbund ehemaliger Missionshäuser in Ghana. In den sechs Krankenhäusern finden pro Jahr je zwei bis drei Hilfseinsätze statt. Alle Beteiligten – überwiegend Urologen – arbeiten ausschließlich ehrenamtlich. Dr. Keller war im Februar zum ersten Mal in Akwatia und wird im September ein weiteres Mal fliegen. Auch der Einsatzplan für nächstes Jahr steht bereits fest: 2024 werden 16 Teams mit bis zu 48 Urologen nach Ghana kommen.
Nicht nur wegen des ungewohnten Klimas – über 40 Grad und 90 Prozent Luftfeuchtigkeit – verlangen die Einsätze dort den deutschen Helfern viel ab. „Für die 33 Millionen Einwohner Ghanas gibt es weniger als 20 Urologen“, erzählt der Hofer Arzt. Die Patienten in Hof wurden am Sana Klinikum zu Dr. Kellers Zeiten von 16 Urologen betreut – plus all den niedergelassenen Kollegen in der Region. Entsprechend schlecht ist die urologische Versorgung in Ghana: „Menschen sterben an Katheter-Komplikationen.“ Kinderurologen gebe es gar nicht.
Wer verstehen möchte, wie so ein Hilfseinsatz aussieht, und mit welchen Beschwerden die Patienten kommen, muss wissen: In Afrika gehen die Menschen nur dann zum Arzt, wenn es überhaupt nicht mehr anders geht. „Arbeit geht vor“, weiß Dr. Keller. Wer sich noch einigermaßen auf den Beinen halten kann, geht arbeiten, um seine Familie ernähren zu können. Nur 16 Prozent der Bevölkerung sind krankenversichert. Und selbst sie bekommen nur einen Bruchteil der Behandlungskosten erstattet. Wer operiert werden muss, muss sämtliches Material für die Operation – von den Handschuhen für die Ärzte bis hin zum Faden für die Naht selbst kaufen. Das Material für eine urologische Operation kostet durchschnittlich etwa 200 Euro – was in Ghana mindestens einem Monatsverdienst entspricht.
Verein bezahlt
Der Verein übernimmt deshalb einen Teil der Behandlungskosten für zahlungsunfähige Patienten (zirka 2000 Euro pro Einsatz). Die Einsätze belasten die Hospitäler finanziell und personell. Aber dank der Patientenunterstützung werden keine Patienten abgewiesen. Bei extrem schweren Fällen, meist Kinder und Jugendliche, übernimmt der Verein auch die Gesamtkosten für einzelne Patienten.
Ein Hilfsteam besteht jeweils aus zwei erfahrenen Fachärzten, einem Assistenzarzt und einer OP-Schwester. Die Ärzte arbeiten nicht nur ehrenamtlich, sie bezahlen auch ihre Flüge selbst. Lediglich für die OP-Schwester bringt der Verein die Kosten auf. Damit die Ärzte ihr Equipment nicht jedes Mal hin und her fliegen müssen, haben sie ein kleines Lager im Kloster der Hauptstadt.
Dr. Keller schildert den Ablauf eines Einsatzes: „Am Freitag fliegen wir hin. Der Flug dauert ungefähr zehn Stunden.“ Am Samstag wird ein Pick-Up mit dem Equipment beladen und es geht zu dem knapp 90 Kilometer entfernten Krankenhaus – „was in dieser Region ungefähr vier Autostunden bedeutet“. Noch am selben Nachmittag und Abend beginnt das Screening der Patienten, die in den Wochen zuvor über Flyer und Aushänge über den Einsatz informiert wurden und geduldig den ganzen Tag in der Hitze ausharren, bis sie an der Reihe sind. „Das geht bis abends um zehn, ohne Pause.“
14 Stunden im Einsatz
Die Ärzte untersuchen am Samstag und Sonntag möglichst viele Patienten, nämlich rund 200, um ab Montag alle nötigen Laborwerte vorliegen zu haben und operieren zu können. Für die folgenden Tage heißt es dann: um 8 Uhr Visite, bis 17 Uhr operieren, bis 20 Uhr Screening und Behandlung, bis 21 Uhr OP-Planung und Vorbereitung für den nächsten Tag – und abends in einem kleinen, einfachen Gästehaus müde ins Bett fallen. Anstrengend? „Ja. Aber auch schön. Das ist eine tolle Truppe, die alle das gleiche Ziel haben. Und die Patienten sind unendlich dankbar. Wer die Zustände dort gesehen hat, weiß, wie gut wir es haben.“
Nicht nur harren die Menschen stundenlang in der Hitze aus, um einen Arzt sehen zu können. Sie liegen in kleinen, schmutzigen Zimmern dicht an dicht. Wer sich kein Leintuch leisten kann, liegt direkt auf der Plastikmatratze. Viele Menschen haben schlimme Krankheiten, die sie schon lange mit sich herumschleppen. Aber: „Keiner jammert!“ So viel Dankbarkeit und Fröhlichkeit wie in Ghana habe er noch nie erlebt, erzählt der Urologe. Kinder sind oft schüchtern und verstört, haben schwere Schicksale hinter sich. Als der Junge, dessen Harnröhre Dr. Keller rekonstruiert hat, und der nach über vier Jahren endlich ohne Gartenschlauch in der Blase leben konnte, langsam Vertrauen fasste, war das für den Hofer einer der schönsten Momente seines Hilfseinsatzes.
90 Operationen
Nach 15 Tagen des Operierens und Behandelns endet ein Einsatz, die Helfer bringen das Equipment in das Lager zurück und treten den Heimflug an. Pro Hilfseinsatz stehen rund 90 Operationen und 120 Behandlungen auf dem Programm. Seit Bestehen des Vereins wurde rund 35000 Patienten unentgeltlich vor Ort geholfen.
„Ungefähr zehn Patienten musste ich im März zurücklassen“, berichtet Dr. Keller, der sich vorgenommen hat, vor seinem nächsten Einsatz im September möglichst viele Spenden zu sammeln. Weil es in Ghana keinerlei Kinderurologie gibt, Missbildungen im Bereich des Harntrakts bei Kindern jedoch sehr häufig sind, möchte er bei seinen nächsten Einsätzen für Ärzte für Afrika diesen Bereich ausbauen. „Es gibt für diese Harnröhren-Veränderungen bisher kaum fachliche Expertise in unserem Verein, und auch in ganz Deutschland gibt es nur zwei große Zentren, die solche Operationen in nennenswertem Umfang durchführen.“ Das passende Instrumentarium und Equipment zu beschaffen, Personal zu schulen und vor Ort die nötige Infrastruktur zu schaffen, werde viel Geld kosten. Der Hofer wirbt deshalb, unter anderem im Rahmen von öffentlichen Vorträgen, unermüdlich für Ärzte für Afrika: „Hier kommt jeder Euro bei den Patienten an.“ Sandra Langer
Wer für den gemeinnützigen Verein „Die Ärzte für Afrika“ spenden und dabei gezielt den Aufbau der Harnröhrenchirurgie durch den Hofer Urologen Dr. Hansjörg Keller unterstützen möchte, überweist bitte unter dem Stichwort „Akwatia Harnröhrenchirurgie“ an IBAN DE94300606010007744110.
Der Verein „Die Ärzte für Afrika“ wurde 2007 gegründet, um die medizinische Versorgung im westafrikanischen Ghana zu unterstützen. Ein Schwerpunkt liegt dabei vor allem in der dringend notwendigen Verbesserung der urologischen Versorgung. Eine Mitgliedschaft ist ab 50 Euro Mitgliedsbeitrag jährlich möglich. Mehr Infos unter www.die-aerzte-fuer-afrika.de.
Fotos: privat