Seit einem Jahr treffen sich mehrere Frauen und ein Mann, die aus der Ukraine fliehen mussten, zu einem Sprachkurs. Er wird von einem ehrenamtlichen Helferkreis geleitet. Eine von ihnen ist Dr. Gisela Strunz aus Hof, vielen bekannt als Vorsitzende der Hermann und Bertl Müller-Stiftung. Die Stiftung organisiert auch Hilfsgüter für die Ukraine.
„Man kann sich nur wundern, wie tapfer die Frauen sind“, sagt Gisela Strunz an einem der Montagabende, an denen sie mit elf Frauen und einem Mann in einem Raum in der Hofer Christuskirche Deutsch übt. Einige der Teilnehmer können die Sprache schon ganz gut, andere warten immer noch auf einen Platz in einem offiziellen Deutsch- oder Integrationskurs. „Die Warteliste ist lang“, weiß Strunz. Das ist der Grund, warum sie mit weiteren Ehrenamtlichen nicht lange gezögert und das Angebot selbst organisiert hat. „Wir sind aber nicht nur ein Deutschkurs, wir sind auch ein Kümmerkurs“, betont die Vorsitzende der Hermann und Bertl Müller-Stiftung, die seit einiger Zeit auch Hilfsgüter für die Ukraine organisiert – sicher im Sinne des Ehepaars Müller, das 1945 aus seiner Heimat Asch vertrieben wurde und die Stiftung aus Dankbarkeit gründete.
Zusammen ins Theater
Strunz berichtet, dass in dem Helferkreis viel gemeinsam unternommen werde und persönliche Kontakte entstanden seien. „Wir gehen zusammen ins Theater oder in den Zoo“, erzählt sie. Und bei praktischen Fragen rund um Anträge oder Ämter stehe man unterstützend zur Seite. Hilfreich sei dabei, dass die Geflüchteten aus einem ähnlichen Kulturkreis kämen und man nicht wie zum Teil bei anderen Migranten mit Vorbehalten gegenüber Frauen zu kämpfen habe.
Ausgesprochen dankbar zeigen sich die geflüchteten Frauen. „Es geht uns gut hier“, betonen viele in dem Gespräch, das von Aurelija Krause übersetzt wird, immer wieder. Sie hätten in Hof viele freundliche Menschen getroffen und viel Hilfe erfahren. Einige der Frauen und deren Kinder wurden sogar kurz nach Kriegsbeginn von Freiwilligen an der ukrainisch-polnischen Grenze abgeholt und nach Deutschland gebracht. „Aus Mariupol kam man nur am 24. Februar letzten Jahres noch raus“, berichtet Hanna, „danach nicht mehr.“ Sie und ihre vier Kinder hätten alles stehen und liegen lassen müssen, es sei sehr dramatisch gewesen. Als sie das erzählt, kommen ihr die Tränen.
Anfangs hätten sie noch gehofft, bald wieder zurück in die Heimat zu können. Niemand konnte sich vorstellen, dass der Krieg so lange dauern würde. „Wir leben im 21. Jahrhundert – wer hätte mit so einem Krieg gerechnet?“, sagt die zweite Hanna in der Runde, eine Juristin aus Saporischschja. Inzwischen machen sich die Geflüchteten viele Sorgen um ihre Angehörigen, die zurückbleiben mussten – allen voran natürlich um die Ehemänner, aber auch Eltern, Geschwister und andere Verwandte.
„Wir versuchen, ein bisschen Leid vor Ort zu lindern“, sagt Gisela Strunz. Dabei erhielten der Helferkreis und die Stiftung auch viel Unterstützung von anderen: Vereinen, Firmen und Einzelpersonen. Auch Bürger von Naila hätten sehr viel beigetragen. Am meisten werde im Moment Geld gebraucht, damit man medizinische Produkte und Medikamente in die Ukraine bringen könne. Das betreffe Material zum Nähen von Wunden genauso wie Krankentragen, Feldbetten oder Schlafsäcke. „Und Solar-Powerbanks zum Laden der Handys, wenn es – wie in vielen Gebieten – keinen Strom gibt“, ergänzt Aurelija Krause. Denn das sei dann die einzige Möglichkeit, noch Kontakt zu den Angehörigen zu halten.
Moralische Verpflichtung
Bisher konnten zwei Ehemänner der in Hof gestrandeten Frauen in regelmäßigen Abständen hierherkommen, um die Hilfsgüter abzuholen. Doch im Moment sei unklar, ob das weiterhin möglich sei, da immer mehr Männer zum Kriegsdienst eingezogen würden. „Wir werden aber Wege finden“, betont Gisela Strunz. Sie hebt hervor: „Als Deutsche haben wir eine besondere moralische Verpflichtung gegenüber der Ukraine“, seien doch im Zweiten Weltkrieg sehr viele Zwangsarbeiter von dort rekrutiert und fast alle Juden in dem Land getötet worden.
Den manchmal gehörten Vorwurf, die Geflüchteten aus der Ukraine würden besser behandelt als Menschen, die vor Jahren aus anderen Ländern geflohen sind, kennt die studierte Soziologin Strunz. Man müsse mit den Menschen, die schon länger hier sind, sprechen und ihnen erklären, dass die Neuankömmlinge jetzt ebenso intensive Hilfe bräuchten wie sie damals. Die Frauen aus der Ukraine hätten es im Moment zum Beispiel schwer, eine passende Wohnung zu finden. „Einige leben mit ihren Kindern in einem einzigen Zimmer“, weiß Strunz. Die Flüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan hätten vor einigen Jahren noch größere Wohnungen finden können, gerade in Hof. Sie kämen inzwischen auch besser klar und bräuchten nicht mehr so viel Unterstützung – vor allem, wenn sie die Zeit genutzt und Deutsch gelernt hätten.
„Alle sehr motiviert“
Deutsch lernen ist auch das erklärte Ziel der Menschen, die sich mehrmals in der Woche in der Christuskirche treffen. Ein weiteres Mitglied des Helferkreises, Ruprecht Werner aus Hof, übt gemeinsam mit den Frauen und dem Mann die ungewohnte Sprache und betont: „Sie sind alle sehr motiviert.“ Auch mit den Kindern machen sie fleißig Hausaufgaben und üben Deutsch, ergänzt Gisela Strunz. Einige der Kinder gingen sogar aufs Gymnasium und viele besuchten einen Sportverein.
Ruprecht Werner macht seine ehrenamtliche Tätigkeit sehr viel Spaß. „Die Frauen sind sehr dankbar“, fasst er seine Erfahrungen zusammen. Die nicht ganz ernst gemeinte Frage an die Teilnehmenden, ob er denn ein guter Lehrer sei, beantworten sie lächelnd mit einem klaren „ja“. Überhaupt wird viel gelacht in der Runde, trotz des ernsten Hintergrunds der Menschen. „Es macht uns große Freude, mit Euch zusammen zu sein“, sagt Gisela Strunz zum Schluss. Claudia Schott
Spenden
Wer sich dem Helferkreis anschließen oder einfach mal eine Familie aus der Ukraine kennenlernen möchte, kann sich unter info@mueller-stiftung-hof.de bei Dr. Gisela Strunz melden. Spenden werden vor allem für medizinische Hilfsgüter dringend benötigt. Die Hermann und Bertl Müller-Stiftung hat ein Spendenkonto eingerichtet. Die IBAN lautet DE50 7806 0896 0200 0340 45. (Wer eine Spendenbescheinigung wünscht, muss Name und Adresse angeben.)
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Beim Treffen in der Hofer Christuskirche erzählten Timofej, Marina, Olga, Irina, Darja, Thu, Hanna, Olga, Anna (von links) von ihren Erfahrungen auf der Flucht und in Hof. „Hier geht es uns gut“, betonten sie.
Foto: Claudia Schott