Vielleicht kennen es einige Hoferinnen und Hofer noch, das Logo des ansässigen Lesezirkel-Unternehmens „Siegel`s Lesemappe“ im Stil der 1950er-Jahre: Eine Frau blättert interessiert in einer Illustrierten, über ihrem Kopf in Bogenform der Name des Inhabers in Druckbuchstaben, unter ihr in geschwungener Schreibschrift „Lesemappe“. Was heute für die meisten Menschen ein recht erschwingliches Lesevergnügen ist, war der lesebegeisterten, aber geldknappen Bevölkerung der Nachkriegszeit ein wahrer Luxus: Zeitschriften. Daher waren Lesezirkel-Unternehmen, bei denen man gegen Gebühr wochenweise eine Auswahl an Zeitschriften abonnieren konnte, ein florierendes Geschäftsmodell.
Wolfgang Siegel gründete seinen Lesezirkel „Siegel`s Lesemappe“ im Jahr 1950. In den folgenden zwei Jahrzehnten florierte sein Unternehmen. Er expandierte von der Stadt in die Region mit einem Einzugsgebiet von Naila bis Marktredwitz. Zusätzlich wurden eine Leihbücherei samt Zweigstellen und eine eigene Druckerei eingerichtet.
Der am 4. November 1921 in Chemnitz geborene Siegel wurde unmittelbar nach der Schule zum Kriegsdienst eingezogen. Er war in ganz Europa stationiert und lernte mehrere Fremdsprachen. Nach dem Krieg war er daher u.a. Dolmetscher bei den amerikanischen Militärbehörden in Rehau, Sekretär bei der Hofer Dienststelle der Hilfsorganisation der Vereinten Nationen (UNRA) und Redakteur bei der Frankenpost. Mit 29 Jahren wagte Siegel dann den Schritt in die Selbstständigkeit und gründete im Hintergebäude einer Bäckerei im Hofer Bahnhofsviertel „Siegel`s Lesemappe“.
Privat pflegte Siegel einen gutbürgerlichen Lebensstil. Er liebte Fernreisen und war auf allen fünf Kontinenten unterwegs. Er selbst sah sich als einen „in der Stadt Hof wohlangesehenen und ehrenwerten“ Menschen. Mit diesem Selbstbild gründete er 1986 die Wolfgang-Siegel-Stiftung, nachdem sechs Jahre zuvor der Betrieb von „Siegel`s Lesemappe“ aus privaten Gründen eingestellt worden war. Die bis heute aktive Stiftung unterstützt wissenschaftliche Arbeiten zu regionalen Themen, stellt Lehrmaterial für Schulen zur Verfügung und fördert den Ankauf von Objekten für das Museum Bayerisches Vogtland.
Einige dieser Objekte zeigt die aktuelle Sonderausstellung dort. Noch bis Mitte Oktober bietet sie einen Blick in Wolfgang Siegels Wirken als Privatmann, Geschäftsinhaber und Kulturmäzen. Das Besondere: Die Besucher können sich die zehn im ganzen Museum verteilten Ausstellungsstationen mit einer Lesemappen-Challenge erschließen, für deren Abschluss es eine Belohnung gibt.
Wolfgang Siegel hätte sich sicherlich über die Ausstellung gefreut. Zwar scheiterte er im Privaten mit Scheidung und Rosenkrieg und starb allein im Pflegeheim. Aber durch seine Stiftung wirkt er bis heute ins Hofer Kulturleben hinein.