Morgens stellt er Führerscheine aus und nachmittags vermittelt er Dolmetscher: Adel Fattal hat zwei Arbeitgeber und zwei komplett verschiedene Aufgaben. Dabei ist der 36-Jährige studierter Biochemiker und wollte mal in der Firma seines Vaters in Aleppo, Syrien, einsteigen.
Doch als Adel Fattal 2013 mit dem Studium fertig war, herrschte schon Krieg in Syrien. „Die Firma meines Vaters, die er wiederum von seinem Vater übernommen hatte, wurde komplett zerstört“, berichtet er – in fast perfektem Deutsch. 2015 entschied er sich schließlich, nach Deutschland zu gehen, denn die Situation in Syrien wurde immer schlimmer. Aber auch die Reise hatte es in sich: sechs Mal hat er versucht, von der Türkei nach Griechenland zu kommen, wurde zwei Mal verhaftet und für einen Tag ins Gefängnis gesteckt. Einmal ging er sogar mit einem Boot unter – bis die türkische Polizei ihn rettete.
Vor der Abreise hatte er in Aleppo noch seine heutige Frau Heba geheiratet, die aber zunächst dort blieb. Adels Plan war es, entweder nach Holland oder nach Deutschland zu gehen, wo bereits Landsleute von ihm lebten. Schließlich kam er nach den überstandenen Hindernissen bis nach München und über Umwege weiter nach Frankfurt am Main. So schnell wie möglich wollte er dort Deutsch lernen, doch da er noch keinen Aufenthaltstitel hatte, durfte er keinen Sprachkurs machen. „Also habe ich allein gelernt, mit Youtube“, erzählt er. Bis zum Sprachniveau B 1 brachte er es ohne fremde Hilfe, was bedeutete, dass er in der Lage war, Situationen im Alltag zu bewältigen und sich zu vertrauten Themen zu äußern – schriftlich und mündlich.
Adel Fattal wollte aber unbedingt weiterkommen, konnte schließlich einen Kurs besuchen und schaffte das Sprachniveau C1. Jemand, der dieses Ziel erreicht, kann anspruchsvolle Texte und Zusammenhänge verstehen und die Sprache im gesellschaftlichen und beruflichen Leben kompetent anwenden.
Mit dieser Basis hoffte Adel, in seinem Beruf eine Stelle zu finden, doch im ganzen Großraum Frankfurt hagelte es nur Absagen. Also suchte er sich andere Jobs: Erst wurde er Briefzusteller und dann Verkäufer am Flughafen, doch dann kam Corona dazwischen und sein Arbeitsvertrag wurde nicht verlängert. Was also tun? Die Agentur für Arbeit riet ihm zu einer Ausbildung – und da er Zahlen liebt, entschied er sich, Kaufmann für Büromanagement zu werden. Wieder fand er jedoch im Raum Frankfurt nichts Passendes. So kam er schließlich nach Hof.
Ein Bekannter arbeitet beim Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft (BBW) im internationalen Bereich. Dieser Bekannte setzte sich dafür ein, dass Adel bei dem Bildungsträger die gesuchte Ausbildung machen konnte. Drei Jahre lang drückte er nochmal die Schulbank, obwohl er die Zeit hätte verkürzen können. Aber das wollte er nicht: Es hätte ja sein können, dass er mit dem Stoffmenge Probleme bekäme. „In der Berufsschule war ich dann aber Klassenbester“, erzählt der 36-Jährige – und lächelt dabei ein bisschen verschmitzt.
Dienst am Schalter
Doch wie kam es nun zu den zwei verschiedenen Arbeitgebern und ganz unterschiedlichen Aufgaben? Zunächst einmal fand Adel Fattal bei der Stadt Hof in der Führerscheinstelle Arbeit: Seit Juli dieses Jahres nimmt er am Schalter im Bürgerzentrum Anträge entgegen, tauscht Dokumente um und stellt internationale Führerscheine aus. Seine eigene Führerscheinprüfung musste Adel Fattal in Deutschland wiederholen, und zwar die theoretische und die praktische.
Da es sich bei der Arbeit bei der Stadt Hof nur um einen Teilzeitstelle handelt, suchte er nach einer weiteren Tätigkeit. Als er hörte, dass die Diakonie Hochfranken einen Mitarbeiter als Projektleiter der „Sprach- und Kulturmittler“ suchte, zögerte er nicht lange und bewarb sich. In dem Projekt werden ehrenamtliche Dolmetscher vermittelt, die speziell für Beratungssituationen oder Arztbesuche geschult werden – eine Tätigkeit, die perfekt zu seiner eigenen Biografie passt. Und prompt bekam er die Stelle.
Von dem Job erfahren hatte Adel Fattal aus erster Hand: Seine Frau Heba Abdullah, eine in Syrien ausgebildete Rechtsanwältin, war vor einigen Jahren ebenfalls nach Deutschland gekommen und fand 2022 eine Stelle bei der Diakonie. In dem Projekt „Wohnraum für alle“ informiert und unterstütz sie Wohnungssuchende. Im Jahr 2020 wurde die gemeinsame Tochter geboren und 2024 wurden alle drei zu Neu-Hofern, das heißt sie erhielten die deutsche Staatsbürgerschaft. „Man muss dafür mindestens seit fünf Jahren in Deutschland leben, das Sprachniveau B1 erreicht haben und für seinen Lebensunterhalt selbst sorgen können“, berichtet Adel Fattal. „Das wird ganz genau geprüft.“
Und was macht Adel sonst noch zu einem „echten“ Deutschen? Vielleicht sein Hobby Fußball? Er spielt selbst beim FSV 94 Unterkotzau und schaut gern mit Kumpels gemeinsam Sport im Fernsehen. Nicht so alltäglich wie dieses beliebte Hobby dürfte aber für eine Familie aus einem überwiegend muslimischen Land die Religionszugehörigkeit sein: Die Fattals gehören nämlich dem christlichen Glauben an.
Gerne besucht das Ehepaar mit seiner Tochter einen Kinder- oder Familiengottesdienst – meistens in der katholischen Kirche, manchmal auch in einer syrisch-orthodoxen Gemeinde. Kennengelernt hat sich Paar übrigens in Aleppo, als sie selbst als Kinder an christlichen Veranstaltungen teilgenommen haben und später als Gruppenleiter engagiert waren. „Ich habe dabei mit den Kids gespielt und Heba sprach mit ihnen über die Bibel“, erzählt Adel Fattal. Ob sie es heute mit der eigenen Tochter auch so halten, kann man die beiden ja selbst mal fragen. Die Fattals freuen sich über neue Kontakte – und haben auch schon einige deutsche Freunde gefunden. Claudia Schott