Vor genau 35 Jahren, im November und Dezember 1989, herrschte Ausnahmezustand in Hof. Nach der Grenzöffnung der damaligen DDR zur Bundesrepublik stauten sich nicht nur die Trabis auf den Straßen der Stadt, auch der Hauptbahnhof hatte mit bis zu 40.000 Besuchern am Tag einen nie dagewesenen Ansturm zu bewältigen.
Was diese Menschenmassen an logistischen Herausforderungen mit sich brachten, davon kann Robert Knieling (85) aus Leupoldsgrün berichten. Er war damals Bahnhofsvorsteher und hatte Tag für Tag die Folgen zu bewältigen. Dass etwas Ungeahntes auf Hof zukommen würde, war ihm nicht erst mit der Grenzöffnung klar, sondern schon viel früher: „Ich habe die Entwicklungen im Ostblock von Beginn des Jahres 1989 an intensiv mitverfolgt, und das hat mich hellhörig gemacht“, berichtet er. Obwohl Robert Knieling am 30. September, als der damalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher die Ausreiseerlaubnis für die Prager Botschaftsflüchtlinge verkündete, eigentlich Urlaub hatte, fuhr er sofort zum Hofer Bahnhof, denn: „Die Züge sollten über das Territorium der DDR fahren, und damit würden sie als erstes in Hof ankommen.“
Um das Ereignis vorzubereiten, seien unter anderem Hunderte Mitarbeiter der verschiedenen Hilfsorganisationen und außerdem zahlreiche Pressevertreter zum Bahnhof geeilt. Doch es sollte die ganze Nacht dauern, bis die Züge tatsächlich eintrafen: „Um 6.14 Uhr kam der erste Sonderzug zum Stehen, und die Menschen schrien und winkten aus den Abteilfenstern“, erinnert sich Robert Knieling. Er habe noch nie so strahlende Augen gesehen wie an diesem Morgen. Neben ärztlicher Versorgung habe man warme Mahlzeiten und auch Winterkleidung angeboten – denn viele der Botschaftsflüchtlinge hätten seit Sommer in Prag ausgeharrt. Erst am Abend habe man die Einsatzzentrale aufgelöst. Doch die Botschaft hatte sich bereits wieder mit Tausenden Ausreisewilligen gefüllt.
Somit sei der Ausnahmezustand zum vorübergehenden Dauerzustand geworden. Da die DDR ihre Reisezugwägen nicht für die Weiterreise zu den Aufnahmelagern zur Verfügung stellen wollte, habe man aus dem süddeutschen Raum rund 100 Wägen nach Hof kommen lassen. Den Rangierbetrieb und Güterverkehr habe man dafür stark einschränken müssen. Weil die Verantwortlichen der DDR-Reichsbahn mauerten, was den Ankunftszeitpunkt der weiteren Sonderzüge betraf, habe der damals in Hof anwesende Staatssekretär des Bundesinnenministeriums Horst Waffenschmidt sogar Bundeskanzler Helmut Kohl aus dem Schlaf gerissen. Wieder dauerte es bis zum Morgen, und als die Züge dann endlich eintrafen, habe der rasch aufeinander folgende Takt sogar dazu geführt, die Bahnhofsfahrordnung zu verändern: „Wir mussten kurzfristig umdisponieren und unter anderem eine zweite Rangierabteilung einrichten“, erinnert sich Robert Knieling.
Erst nach dem 5. Oktober sei auf dem Hofer Hauptbahnhof vorübergehend wieder eine Art Normalzustand eingekehrt – aber nicht in der DDR. Die sich überschlagenden Ereignisse, von denen Robert Knieling auch heute noch im Detail berichten kann, führten dazu, dass schließlich die Mauer fiel und der Ansturm auf Hof erst so richtig losging. Zu den Herausforderungen, an die der damalige Bahnhofsvorsteher sich erinnert, gehört unter anderem die Auszahlung des Begrüßungsgeldes, aber vor allem waren es logistische Probleme in den Zügen: „Weil die Reisenden auch in den Toiletten standen und niemand unterwegs aufs Klo gehen konnte, stellte der Hofer Bauhof an den Ausgängen des Bahnhofes alle verfügbaren Toilettenwagen auf.“ Auch die Beseitigung immenser Müllmengen habe man organisieren müssen. Die Züge seien meist so voll gewesen mit Menschen, dass sich die Wägen auf der Seite der Kabinen leicht neigten.
Der Stress und die schlaflosen Nächte der Grenzöffnungszeit ließen zwar später nach, aber so ruhig wie zuvor sollte es nicht mehr werden. Auch nach der Wiedervereinigung hatte Robert Knieling herausfordernde Aufgaben zu erfüllen, zum Beispiel die Umorganisation der Deutschen Bahn in die DB AG für den Raum Hof. Mit 58 Jahren musste er aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand gehen. Dennoch bereut er keinen Moment der damaligen Zeit: „Ich bin dankbar für das, was ich erleben durfte, und für die Kraft, das alles durchzustehen.“ Manfred Köhler
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Robert Knieling kann als ehemaliger Hofer Bahnhofsvorsteher von vielen damals internen Details der Grenzöffnungszeit berichten.
Foto: Manfred Köhler