Rund um den Jahreswechsel und zu Beginn eines neuen Jahres ist der Mensch schwer beschäftigt. Nein – hier ist nicht die Rede von Dekorieren, Plätzchen backen, Gänsebraten und Raclette organisieren, und im Januar alles wieder ordentlich Verräumen. Sondern davon, dass in dieser Zeit auch innerlich Vieles ansteht: Rückblick und Bewertung, Loslassen, Neuorientierung und Neubeginn. Genau hier findet sich der Grund für die vielen Bräuche und Rituale, die sich um Jahreswechsel, Neujahr und auch Fasching ranken.
Dr. Adrian Roßner weiß: „Wann immer Menschen Dinge nicht verstehen oder nicht kontrollieren konnten, haben sie sich Rituale und Bräuche ausgedacht, um die Angst zu besiegen und sich Mut zu machen.“ Der Zeller Heimatforscher und Kreisarchivpfleger des Landkreises Hof hat ein Faible für (regionales) Brauchtum und alte Sagen. Wer sich beispielsweise schon immer fragte, warum Oma in den Raunächten – also zwischen Weihnachten und 6. Januar – das Wäscheaufhängen verboten hat, ist beim ihm genau richtig.
Hintergründe erforscht
Oft sei es so, dass zwar die Rituale oder Bräuche an sich überliefert wurden – aber nicht die Hintergründe. Roßner hat ausgiebig in alten Überlieferungen gestöbert und Werke bekannter wie weniger bekannter Heimatforscher studiert. Er stellt fest: Während alte Sagen und Bräuche lange Zeit kaum mehr jemanden interessierten, findet aktuell eine Rückbesinnung statt. Auch hier gilt: Unsichere Zeiten schaffen den Wunsch nach Orientierung.
Das habe man auch während der Corona-Pandemie feststellen können. Obwohl man heute längst um Dinge wie Bakterien, Viren und deren Ausbreitung weiß, fühlte Roßner sich an den Pest-Ausbruch im 14. Jahrhundert erinnert: „Wenn Menschen in ihrem Leben bedroht werden, brechen animalische Triebe sich Bahn. Und Überwältigendes braucht eine möglichst einfache Erklärung.“ Zur Zeit der Pest beschuldigte man die Juden, alle Brunnen vergiftet zu haben – und auch zu Beginn der Corona-Pandemie waren binnen kürzester Zeit wilde Verschwörungstheorien in Umlauf.
Doch zurück zur Wäsche und den Raunächten. Warum also durfte man keine Wäsche aufhängen? Der Experte erklärt: „Um den Jahreswechsel herum überlagern sich die drei Zeitebenen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Man glaubte früher, dass in dieser Zeit die Seelen der Verstorbenen zurückkehren und durch die Gegend streifen.“ Schafft es eine Seele nicht rechtzeitig zurück ins Jenseits, weil sie buchstäblich in der Wäsche hängen bleibt, muss sie ein ganzes Jahr lang warten, bis die Grenze zwischen den Welten sich abermals öffnet – und verursacht dem „Schuldigen“ während dieser Zeit allerlei Ungemach.
Standen Sie in der Neujahrsnacht horchend auf einem Kreuzweg, um herauszufinden, was die Geister Ihnen für das kommende Jahr zu sagen haben? Wahrscheinlich nicht, denn dieser Brauch – früher in der Oberpfalz und dem nördlichen Oberfranken verbreitet – ist heute kaum mehr bekannt. Auch wenn es während der Raunächte um Dunkles und Ungewisses geht, und mancher Brauch uns heute unheimlich erscheint, sieht Adrian Roßner diese Nächte zugleich auch als Zeit der Hoffnung und zieht Parallelen zum Weihnachtsfest. Denn Ende Dezember geht es nach der längsten Nacht des Jahres endlich, wie der Oberfranke sagt, wieder „nauswärts“: Das Licht kommt zurück. Für uns heute eine (wenn auch ersehnte) Selbstverständlichkeit, in früher Zeit jedes Mal ein kleines Wunder. Und eine Erleichterung.
Im neuen Jahr
Im neuen Jahr angekommen, galt es, sich weiterhin an etliche Bräuche zu halten. „Denn das ist der Kern des Brauchtums: Es suggeriert den Menschen, dass alles gut klappen wird, wenn sie sich nur daran halten.“ Nicht umsonst treiben gerade in der Zeit zwischen November und Januar finstere Sagen-Gestalten ihr Unwesen: Sie sind „Sittenwächter“, die drauf achten, dass die Menschen das Brauchtum praktizieren, und die Nichtbeachtung bestrafen. Die Perchten, der Pelzmärtel, vor allem in Helmbrechts noch bekannt, die Eisenberta (ebenfalls eine „Perchta“) aus der Marktschorgaster Gegend – sie alle sollten die Menschen in der finsteren Zeit bei Raison halten.
Der 2. Januar – heute kaum bekannt – war früher der sogenannte „Handkauftag“. Irgendetwas musste an diesem Tag gekauft und bar bezahlt werden – „und wenn’s ein Ei für einen Pfennig war.“ Wer sich daran hielt, durfte sich auf ein neues Jahr mit guten Geschäften freuen.
Der 6. Januar – welcher Oberfranke wüsste es nicht – war gedacht zum „Stärke antrinken“, um kraftvoll in ein neues Jahr starten zu können. An Lichtmess, 2. Februar, wurden traditionell die Verträge mit den Knechten und Mägden neu ausgehandelt. An Fasching galt es nicht nur einmal mehr böse Geister zu vertreiben, sondern unbedingt auch einen ausgebackenen Krapfen auf Wagendeichsel und Radachse zu schmieren. Denn nach der Fastenzeit begann das landwirtschaftliche Arbeitsjahr – und das sollte schließlich laufen wie geschmiert… Sandra Langer