Als Zehnjähriger bekam Horst Schlisio ein Faltboot geschenkt. Seine erste Tour führte ihn quer durch Berlin. „Danach war ich völlig fertig.“ Abschrecken konnte ihn das jedoch nicht. Es wurde eine Leidenschaft fürs Leben.
Wo immer es den passionierten Wassersportler beruflich hin verschlug, war der nächste Bootsverein nicht weit. Nachdem er in Berlin Jugendwart und Sportwart sowie in Braunschweig lange Jahre Trainer des dortigen Kanu-Clubs war, wurde Horst Schlisio Mitglied des Faltboot-Club Hof, als dieser gerade der erfolgreichste bayerische Verein im Kanusport war. Auch hier frönte er sowohl dem Sport als auch dem ehrenamtlichen Dienst mit Leidenschaft.
Mit Behinderten
2004 fragte schließlich ein Lehrer des nahe am Untreusee gelegenen Therapeutisch Pädagogischen Zentrums (TPZ), ob er sich auch vorstellen könne, mit geistig Behinderten zu paddeln. „Warum eigentlich nicht?“, habe der langjährige Trainer damals gedacht. Und zugesagt. Die frisch gegründete Gruppe von zwölf Athleten hatte sich hohe Ziele gesteckt, nämlich bei der Meisterschaft in Berlin im Jahr 2006 erste Erfolge einzufahren. Nachdem das geklappt hat, ging es 2008 zu den nationalen Spielen von Special Olympics Deutschland in Karlsruhe.
Horst Schlisio wurde von den Verantwortlichen von Special Olympics Deutschland gebeten, die Koordination des Kanusports für Special Olympics zu übernehmen – und war seitdem mehr denn je ein vielbeschäftigter Mann. „Gleichzeitig habe ich auch die Hofer Mannschaft weiterhin unterstützt“, erinnert er sich. Nächstes Ziel – und nächster Erfolg – der Hofer Truppe waren die Weltspiele der Special Olympics in Athen im Jahr 2011.
Derweil war auch der Deutsche Kanuverband an Horst Schlisio herangetreten: Man suche jemanden, der innerhalb des Deutschen Kanuverbandes den Behindertensport aufbaue. Der Hofer wurde zum Trainer der deutschen Nationalmannschaft im Para-Kanusport. Es galt eine Mannschaft mit unterschiedlichsten Vorkenntnissen und unterschiedlichsten körperlichen Voraussetzungen in Form zu bringen. „Einige mussten erst einmal das Bootfahren lernen“, erinnert sich Schlisio.
Nationaltrainer
Andere brauchten wegen ihrer Behinderung besondere Adaptionen, um im Kanu besser zurecht zu kommen. Gemeinsam mit einem Orthopädie-Mechaniktechniker tüftelte Schlisio Nacht für Nacht an neuen, besseren Versionen, die tagsüber in der Praxis erprobt und nachts erneut verbessert wurden. Beim ersten großen Wettbewerb war der Hofer gespannt auf die Ausstattung der gegnerischen Teams und stellte fest: „Wir hatten für damalige Verhältnisse mit einfachstem Baumarkt-Zubehör High-Tech gebaut – und es hat funktioniert.“
Beim Faltboot-Club Hof fuhren inzwischen sowohl geistig als auch körperlich Behinderte Jahr für Jahr bei der großen Regatta des Vereins mit. Unter dem Motto „Meister fahren mit Meistern“ gingen unter anderem auch gemischte Teams an den Start, bei denen nicht behinderte Fahrer gemeinsam mit behinderten paddelten. Den Begriff „Inklusion“ jedoch mag Horst Schlisio nicht so gerne. „Jeder Mensch sollte sich sagen: ,Das ist einer von uns.‘ Und sich fragen: ,Wie kann dieser Mensch in unserer Gesellschaft funktionieren?‘“ Der Hofer möchte allen – Privatpersonen wie Vereinen – Berührungsängste nehmen. „Man muss kreativ sein. Und man muss es wollen. Dann wird alles von selbst.“ Der Rentner erzählt, er habe von der Arbeit mit Behinderten viel gelernt, denn: „Die meisten von ihnen haben – zwangsläufig – eine Eigenschaft, die viele von uns gar nicht mehr kennen: Sie helfen sich selbst.“
Es gäbe noch viel zu erzählen von Projekten, die Horst Schlisio initiiert oder vorangetrieben hat – von Hofer Mittelschülern, die gemeinsam mit Behinderten mit einer Mannschaft zu den Special Olympics nach Los Angeles gereist und erfolgreich im Unified-Bereich angetreten sind, oder davon, wie Horst Schlisio und seine Frau Christel den bayerischen Wettbewerb der Special Olympics nach Hof geholt haben. 2013 hat der Hofer für den Deutschen Kanuverband die Weltmeisterschaft in Deutschland betreut und maßgeblich dazu beigetragen, dass endlich auch im Para-Sport ähnliche Bedingungen wie im Hochleistungssport geschaffen wurden – sprich, dass den Athleten ein professionelles Team mit Trainern und Physiotherapeuten sowie mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Er selbst fuhr, unter anderem wegen einer schweren Erkrankung im Jahr 2012, sein überregionales Engagement zunehmend zurück, blieb im Hintergrund beratend tätig und in Hof weiterhin im Faltboot-Club aktiv.
Auszeichnungen
Dass seit Kurzem auch geistig Behinderte und nicht klassifizierbar Behinderte (wie zum Beispiel Sehbehinderte) den Para-Athleten gleichgestellt sind und mit zu den Meisterschaften fahren können, gehört zu den Dingen, die sich Horst Schlisio lange gewünscht und auf die er beharrlich hingearbeitet hat. Für sein Engagement hat der Hofer im Lauf der Jahre verschiedenste Auszeichnungen erhalten – sowohl auf regionaler Ebene als auch überregional: das Bundesverdienstkreuz aus den Händen von Joachim Gauck und zuletzt im Juni die Bayerische Staatsmedaille für soziale Verdienste. Geehrt fühle er sich schon, sagt der 67-Jährige, gerade dass Joachim Gauck ihm diese Ehrung verliehen habe, da dieser ein großer Verfechter des Ehrenamts gewesen sei.
„Ich werde mit dem Boot leben so lange es geht.“
Aber es ist ihm wichtig zu betonen: „Ich hatte einfach Glück.“ Glück, dass sowohl seine Frau als auch seine Kinder sein Engagement immer mitgetragen und aktiv unterstützt haben; Glück, dass sein Beruf ihm Freiräume ermöglicht hat, die andere sich schlicht nicht nehmen können. „Sonst hätte das alles niemals funktioniert. Das muss man klar sagen.“
Horst Schlisios Ziel war es immer, Menschen für den Sport zu begeistern, denn gerade im Leistungssport lerne man viele Dinge fürs Leben. „Wer weiß, wie mein Leben gelaufen wäre, wenn ich nicht mit dem Sport groß geworden wäre und Leute gehabt hätte, die mich geführt haben? Es hätte auch vor dem Bahnhof Zoo enden können im Berlin der 60er Jahre…“ Ein Staat ohne Ehrenamt könne niemals funktionieren, und er versuche, Menschen zu gewinnen, die davon etwas weitertragen – im Kleinen wie im Großen. Nie in den vergangenen 18 Jahren habe er das Gefühl gehabt, etwas Besonders zu machen. „Es geht um den Sport und um die Athleten, die etwas erreichen wollen.“
Mit Boot und Wohnwagen
Um den Sport wird es Horst Schlisio weiterhin gehen, auch wenn er „die große Bühne“ bewusst verlassen hat und nicht mehr international unterwegs sein möchte. Er hilft dem Hofer Verein, stellt Material oder auch sein großes Netzwerk zur Verfügung – und will vor allem selbst wieder mehr paddeln gehen und reisen. Der Kanu-Wandersport ist seine Leidenschaft geblieben; im Boot ist er Eins mit der Natur und auf das Wesentliche des Lebens konzentriert. Wann immer Horst Schlisio mit seinem Wohnwagen aufbricht, um „etwas von der Welt zu sehen“, ist das Boot mit dabei: „Ich werde mit dem Boot leben so lange es geht.“ Sandra Langer
Fotos: Lydia Wirkner/Stadt Hof, privat