Die Selbitzer Müllersfamilie Wurziger hat gleich zwei spannende Geschichten zu erzählen. Die eine davon ist die Geschichte ihrer Mühle, der Rangenmühle, die im Jahr 1426 beginnt, also fast 600 Jahre weit zurückreicht. Richtig spektakulär aber ist die Familiengeschichte, die im sächsischen Vogtland ihren Anfang nimmt und in Mödlareuth eine dramatische Wendung erfährt.

Arno Wurziger, der Großvater des heutigen Seniorchefs Günter Wurziger, hatte in Mödlareuth zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen Neuanfang gewagt und einen landwirtschaftlichen Betrieb mit Mühle gekauft. „Mein Vater Ewald hat Müller gelernt und die Mühle in den folgenden Jahren grundlegend modernisiert“, erzählt Günter Wurziger. Aber dann kam der Krieg – und danach fiel die Thüringer Seite Mödlareuths in die sowjetische Besatzungszone. Genau an der Grenze, auf der nördlichen Seite direkt am Tannbach, lag die Obere Mühle der Wurzigers. Was im Jahr 1952 hier geschah, ist auch auf der Homepage des Deutsch-Deutschen Museums Mödlareuth nachzulesen. Im Juni begannen unter dem zynischen Decknamen „Ungeziefer“ Säuberungen gegen Grenzlandbewohner. Auch die Wurzigers sollten „mit unbekanntem Ziel“ verbracht werden, aber es gelang ihnen durch ein Fenster der Mühle der Sprung über die Grenze und damit in die Freiheit – während das Anwesen schon von drei Seiten umstellt war.
Neue Existenz
Die erst wenige Monate zuvor noch einmal renovierte Mühle, ein voll funktionierender Wirtschaftsbetrieb, wurde wegen ihrer Grenznähe dem Erdboden gleich gemacht. Und die Wurzigers mussten sich im Hofer Land aus dem Nichts heraus eine neue Existenz aufbauen. „Meine Familie kam zuerst in Töpen bei Verwandten unter“, berichtet Günter Wurziger. Später fanden sie Arbeit in der Rangenmühle Selbitz, kauften die Mühle schließlich 1958 von einer Erbengemeinschaft und bauten sie über Jahrzehnte zu einem modernen Unternehmen aus. Im Jahr 1995 habe man schließlich auch die damals fast 100 Jahre alte Turbine durch eine neue ersetzt.
In dem voll automatisierten Familienbetrieb mahlen die Wurzigers heute pro Tag rund 100 Zentner Mehl aus den Getreidesorten Dinkel, Weizen und Roggen aus regionaler Produktion. Außerdem wird als Nebenprodukt Kleie produziert. Wo früher Mühlsteine das Korn zu Mehl mahlten, sind heute gegeneinander laufende Metallwalzen im Einsatz. Produziert wird mit dem Strom aus der Turbine und aus eigenen PV-Anlagen wie auch mit schwankenden Anteilen an zugekauftem Strom.
Geliefert wird das Mehl vor allem an Bäckereien der Umgebung. Dort werde es als Mehl aus regionaler Produktion geschätzt: „Jede Mühle hat ihre eigene Handschrift und ihr eigenes spezielles Mehl“, versichert Günter Wurziger. Auch Privatkunden kommen daher gerne in der Mühle vorbei und kaufen dort ein.
Auch wenn der Betrieb automatisch läuft, bleibt für Günter Wurziger, seine Frau Doris und seinen Sohn Michael, die alle in Vollzeit in der Mühle beschäftigt sind, eine Menge Arbeit. Außerdem helfen auch Tochter Stefanie und weitere Familienangehörige. Besonders wichtig sei der Einkauf, denn: „Wenn das Getreide nicht passt, dann gelingt mit dem Mehl kein gutes Brot.“ Natürlich müssen auch ständig die Maschinen überwacht werden. Ein kleiner Riss in einem der Siebe kann schon dazu führen, dass große Mengen Mehl mit Kleie versetzt verpackt werden. Ein eigenes, selbst betriebenes Labor überwacht die Qualität der Produktion. Auch die Auslieferung an die Kunden ist in Familienhand.
Letztlich besteht ein Großteil der täglichen Arbeit auch darin, die Mühle sicher durch die unruhig gewordenen Zeiten zu lenken. Die Überschwemmung in Selbitz 2021 nach Jahren der Trockenheit, die Corona-Beschränkungen und die Teuerung durch den Ukraine-Krieg, die Folgen all dieser Herausforderungen machen auch dem Mühlbetrieb zu schaffen.
Alter Mühlstein

Dass es aber immer irgendwie weitergeht, daran gemahnt ein Relikt der Familiengeschichte, das erst vor einigen Jahren seinen Weg in die Rangenmühle gefunden hat. Ein Mödlareuther Landwirt hatte auf seinem Acker den Mühlstein der Oberen Mühle der Wurzigers gefunden, der nach der Zerstörung 1952 wohl einfach achtlos in der Natur entsorgt worden sein muss. Auf dem Hof der Rangenmühle in Selbitz steht dieser Mühlstein nun gleichermaßen für die Familiengeschichte der Wurzigers wie auch für ihren heutigem Betrieb, eine der ältesten Mühlen im Hofer Land und eine der ganz wenigen, die weit und breit noch voll in Betrieb sind und eine Familie ernähren.
Manfred Köhler
Fotos: Manfred Köhler