Vor Jahren war er bereits einmal hier, bei einer Hochzeit in Köditz – nichts ahnend, dass er 20 Jahre später selbst in der Region leben würde: Andreas Müller stammt nämlich aus dem westfälischen Münsterland. Bis Ende 2021 war er in Unna tätig – ab 1. März ist der 55-Jährige Leiter des evangelischen Dekanatsbezirks Hof.
Die standesamtliche Trauung eines Freundes führte Andreas Müller damals nicht nur nach Köditz, sondern auch an den Hofer Untreusee. Mit der Seilbahn sei er im Kletterpark übers Wasser gefahren, erinnert er sich. Jahre später, im April 2021, kam er wieder: in eine Stadt, die bundesweit in den Schlagzeilen war wegen der hohen Corona-Zahlen. Und es schneite. Nach einem angenehmen Gespräch mit dem damaligen Dekan Günter Saalfrank und einer kleinen Stadtführung befanden Andreas Müller und seine Frau Martje Röckemann dennoch: „Wir können uns das vorstellen.“ Also bewarb sich der Pfarrer aus Unna um die freiwerdende Dekans-Stelle in Hof. So etwas gab es noch nie: Ein Pfarrer, der aus einer anderen Landeskirche kommt, wollte Dekan in Bayern werden. Aber warum eigentlich? „Die bayerische Landeskirche ist innovativ und geht mutige Schritte in ihrer Entwicklung“, sagt Müller dazu. Als westfälischer Gemeindeberater habe er die Reformbewegungen hier seit Jahren beobachtet. Ein zweiter Grund sind die Kolleginnen und Kollegen aus Bayern, mit denen er seit gemeinsamen Studientagen verbunden ist: „Zwei haben uns getraut, zwei sind Paten unserer Kinder.“
Die Probleme seien in allen Landeskirchen ähnlich, erklärt Andreas Müller im Zoom-Gespräch. Es werde bald zu wenig Pfarrer geben, egal ob in Westfalen oder in Bayern. Die Kirche sei im Wandel und stehe vor großen Herausforderungen. „Der Wind bläst uns ins Gesicht“, sagt der 55-Jährige. Den notwendigen Veränderungsprozess wolle er begleiten und die Gemeinden dabei unterstützen, ihren Dienst fröhlich und mit Zuversicht zu tun. Denn das Hofer Dekanat sei sehr lebendig und habe viel Potenzial, ist er überzeugt.
Doch negative Ereignisse wie die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche würden auch auf die Protestanten abfärben. „Wir werden mit dafür verantwortlich gemacht“, stellt Müller fest „obwohl wir hier ganz anders aufgestellt sind“. Man müsse zwar vermuten, dass es solche Fälle auch in der evangelischen Kirche gebe, doch werde hier anders damit umgegangen. Die Bayerische Landeskirche ermutige Opfer, sich zu melden und gehe Verdachtsfällen nach. „Wir sind als Kirche hellwach“, betont Müller und erklärt, dass es auch darum gehe, Sensibilität für das sexuelle Selbstbestimmungsrecht zu wecken. Prävention und Information in Kindertagesstätten, Gemeinden und Schulen sei wichtig. „Das ist ein gesamtgesellschaftliches Thema“, ist er überzeugt.
Über den Tellerrand
Wichtig ist dem Theologen, der in Bethel, Heidelberg und Berkeley, Kalifornien studiert hat, auch der Blick über den Tellerrand der eigenen Kirche hinaus. So hat er in Japan Erfahrungen mit dem ZEN-Buddhismus gemacht und multireligiöse Kontakte geknüpft. Das habe ihn sehr geprägt und zu einer „großen ökumenische Weite“ geführt. So gebe es zum Beispiel in der christlichen und der ZEN-Meditation ähnliche Elemente. „Es gibt viel zu entdecken“, ist Müller überzeugt. Eine wichtige Erfahrung seien für ihn auch Aufenthalte in Tansania und den USA gewesen. Im Rahmen einer Kirchenpartnerschaft sei er 2007 mit einer Gruppe von Jugendlichen zum ersten Mal in dem ostafrikanischen Land gewesen. 2015 wurde er Leiter des „Young ambassador programme“, einem Jugendaustauschprogramm mit den USA. Die jungen Menschen leben jeweils in den Familien des Gastlandes, lernen Gemeinden, Kultur und soziale Projekte kennen wie etwa die „Foodbanks“. Die seien vom Konzept her zwar vergleichbar mit unseren Tafeln, doch träfe man in den USA „eine ganz andere Armut“ an. „Das soziale Netz gibt es dort nicht so wie bei uns“, erklärt Müller. Psychisch kranke Menschen würden zum Beispiel nicht stationär aufgenommen sondern lebten als „homeless people“ einfach auf der Straße. „Krass“ hätten das die Jugendlichen des Austauschprogramms genannt.
Ziel dieser Austauschprogramme sei es, junge Leute zu befähigen und zu begleiten. Im Kirchenkreis Unna war Müller außerdem erst Schulseelsorger und später als Schulreferent auch in der Lehrerfortbildung von Religionspädagogen tätig. „Die Verbindung von Schule und Gemeinde ist eine Herzensangelegenheit von mir“, sagt er.
Auch im Privatleben von Andreas Müller spielt die Schule eine große Rolle, ist doch seine Frau Martje Röckemann, ebenfalls ausgebildete Pfarrerin, als Latein- und Religionslehrerin tätig. Die Oberstudienrätin wird erst einmal in Unna bleiben, bis sie in der Region Hof eine Stelle gefunden hat. „Das wird wohl noch dauern“, erklärt Müller. Ein Wechsel sei nur im Rahmen des sogenannten Lehreraustauschverfahrens möglich.
Interims-Wohnung
„Wir leben erst einmal als Familie an verschiedenen Orten“, erklärt Müller. Er selbst habe eine Interims-Wohnung in Hof bezogen, da das Gebäude des Dekanats am Maxplatz derzeit renoviert wird. „Eine Wohnung in Fahrradnähe“ habe er gefunden, berichtet er, der nicht nur gerne in der Stadt Rad fährt, sondern auch mit dem Mountainbike und Inline-Skates unterwegs ist. Claudia Schott
Zur Person:
Andreas Müller wurde 1966 im westfälischen Münsterland geboren und war zuletzt stellvertretender Superintendent (Dekan) und Schulreferent. Er ist verheiratet mit Martje Röckemann. Tochter Ellinor (20) studiert in Heidelberg, Tochter Amy (19) absolviert derzeit ein diakonisches Jahr auf Sizilien und Sohn Sean (14) geht noch zur Schule.
Foto: Nur ein Teil der Familie kommt mit nach Hof: Tochter Ellinor, Andreas Müller, Ehefrau Martje Röckemann, Sohn Sean, Tochter Amy (von links).