Fragt man das Lexikon, was ein Stollen ist – also ein gebackener, kein gegrabener – so findet man folgende Erklärung: ein Stollen oder eine Stolle (von althochdeutsch stollo „Pfosten“, „Stütze“) ist ein brotförmiger Kuchen aus schwerem Hefeteig. Wertgebende Bestandteile sind Fett und Trockenfrüchte, oft Sultaninen, oder andere Füllungen wie etwa Marzipan oder Mohn.
Für mich ist Stollen vor allem eines: Erinnerung!
Drei Jahre war ich, vielleicht vier, als ich meiner Großmutter zum ersten Mal wirklich beim Stollenbacken zugesehen habe. In der engen Küche im ersten Stock unseres kleinen Hauses am Ende des Dorfes. Irgendwo zwischen Zeitz und Gera.
Lange hatte sie sich schon um die notwendigen Zutaten bemüht, um in der Adventszeit auch wirklich alles vorrätig zu haben, was für einen echten, hausgemachten Stollen nötig war. Gebraucht hat sie dann ihr handgeschriebenes Rezept neben sich auf dem Wachstuch des Küchentischs eigentlich nicht. Alles ging ihr ganz leicht und einfach von der Hand. Omas Geheimnis waren die Mandeln. Gebrüht, enthäutet, gehackt – probieren streng verboten. Natürlich habe ich trotzdem stibitzt! Jeden Arbeitsschritt hat sie mir erklärt, die Temperatur der Zutaten, die Mischung („Nicht zu viel Rosinen, Doreen! Zitronat und Orangeat ganz fein hacken! Das ist wichtig!“), das Gehenlassen des Teigs und das Warten.
Ja, das Warten… Irgendwann waren sie dann fertig, die Stollen, auf die die ganze Familie, die Onkel und Tanten, Cousins und Cousinen gewartet hatten. Gelagert wurden sie übrigens unter Omas Bett….
Unvergesslich der Geruch, die Spannung beim Anschneiden und der erste Biss. Dieser Buttergeschmack! Die Butter, die sich oben in der Kuhle gesammelt hat, der Puderzucker darüber. Ich rieche und schmecke es noch heute, so viele Jahre später. Und wenn er aufgegessen war, begann schon die Vorfreude auf das Weihnachten des Folgejahres.
Vor ein paar Wochen ist meine Oma, die Urgroßmutter meiner eigenen Kinder, gestorben. Weit über 90 Jahre war sie alt. Aber bis zum Schluss hat sie im ersten Stock unseres kleinen Hauses am Ende des Dorfes gewohnt. Irgendwo zwischen Zeitz und Gera. Ich glaube, ich werde mal wieder versuchen, einen Stollen zu backen. In Erinnerung an Oma Dorle. Doreen Jahn