
In Hof ist er vor allem als „Gerch“ bekannt. Aber Gert Böhm, der in 54 Jahren rund 2.800 Mundartgeschichten für die Kolumne „Hofer Spaziergänger“ in der Frankenpost verfasst hat, wird als Buchautor in Ländern wie Spanien und Polen, in Tschechien und Großbritannien, in Südkorea, Litauen oder Italien für ganz andere Veröffentlichungen geschätzt. Schon als junger Mann setzte er sich intensiv mit Lebens- und Glaubensthemen auseinander, während er gleichzeitig als „Gerch“ für Gelächter sorgte. Spiritualität und Humor – wie passt das zusammen?
„Die hintersinnigen Mundartgeschichten spiegeln das gleiche menschliche Leben wider, nur anders ausgedrückt“, erklärt Gert Böhm. Vor wenigen Tagen ist er 80 Jahre alt geworden, aber nach wie vor sieht er im Schreiben seinen Lebensinhalt. Gerade ist sein neuestes „Gerch“-Buch „So sänn’sa, die frängischn Weiwer“ erschienen. Wenn er seine Gschichtla vor Publikum liest, füllt er die Säle der Wirtshäuser in der Region, aber auch überregional herrscht Interesse. Erst jüngst widmete das Bayerische Fernsehen dem Hofer Autor aus Anlass seines runden Geburtstages ein Fernsehporträt – und im November plant der BR mit Gert Böhm einen Auftritt im Rahmen der Sendung „Wirtshausmusik beim Hirzinger“.
Vor 60 Jahren, als Gert Böhm am Anfang seiner beruflichen Laufbahn stand, stellte er sich eine ganz andere Karriere vor. Mit 18 wurde der Gymnasiast der Oberrealschule für Jungen bereits Vertragsspieler beim FC Bayern Hof. „Damals war noch am Samstag Schule, und ich musste für die Auswärtsspiele vom Unterricht befreit werden“, erinnert er sich. Außerdem sei ihm als Vertragsspieler wegen möglicher Verletzungsgefahr der Schulsport verboten gewesen. Nach dem Abitur wechselte Böhm als Fußball-Profi zum Berliner Erstliga-Club Tasmania, mit dem er 1961 im DFB-Pokal sogar das Viertelfinale erreichte – es war ein Match auf dem berüchtigten Betzenberg gegen den 1. FC Kaiserslautern, das die Berliner allerdings in der Verlängerung verloren. Kurz danach erlitt Böhm eine schwere Knieverletzung – damit war seine Fußballkarriere mit 21 Jahren schon beendet. Auch seinen Plan, sich als Fußballprofi sein Studium zu verdienen, musste er aufgeben. 20 Jahre lang spielte er überhaupt nicht. Doch dann fing er als Hobby wieder damit an und kickt bis heute in verschiedenen Senioren-Teams im Hofer Land.
Beruflich schlug der Ex-Fußballprofi einen ganz anderen Weg ein. 1962 bekam er ein Redaktionsvolontariat bei der Frankenpost, wurde Zeitungsredakteur, wechselte aber bald schon in die Presseabteilung der Rosenthal AG in Selb und später als einer der Direktoren zu Hutschenreuther, dem damals mit 6.000 Mitarbeitern größten europäischen Porzellankonzern. Aber auch diese Karriere währte nicht lange. Denn damals kam er in Kontakt mit dem Thema, das ihn später um die ganze Welt führen sollte.
„Als gläubiger Christ habe ich mir schon immer die Frage gestellt, warum eine hochintelligente Instanz wie Gott die Menschen nicht vollkommen erschaffen hat, sondern mit Leid und Tod konfrontiert“, sagt Gert Böhm. Im Alter von 40 Jahren widmete er sich dieser Frage komplett. Er stieg aus seinem Manager-Job aus, zog sich aus seinem gesellschaftlichen Umfeld zurück und begann damit, um die Welt zu reisen. „Aus heutiger Sicht war dieser Schritt zu radikal“, räumt er ein. Um Geld zu verdienen, habe er schließlich angefangen, als freier Berater für große Unternehmen zu arbeiten – allerdings immer nur für neun Monate im Jahr. Jeweils im Oktober habe er sich in ein Flugzeug gesetzt und sei für ein Vierteljahr auf Reisen unter anderem durch Fernost oder Mittelamerika gegangen. „Ich wollte wissen, wie andere Kulturen mit der Unvollkommenheit des Lebens fertig werden“, erzählt er.
Ganz besonders aber habe er sich für die spirituellen Zusammenhänge von Krankheit und Heilung interessiert. Gert Böhm durfte an Vodoo-Sitzungen in Brasilien teilnehmen, studierte aus nächster Nähe das Wirken sogenannter Geistheiler auf den Philippinen, reiste zu den Maya nach Guatemala, zu Schamanen am Amazonas, zu Bergvölkern im thailändischen Grenzgebiet nahe Laos und Burma – und lebte längere Zeit im Umfeld des Dalai Lama, mit dem es auch zu mehreren persönlichen Begegnungen kam. All diese Erlebnisse verarbeitete Böhm zunächst in seinem Roman „Gestern war ich tot!“, aber sie flossen auch in das runde Dutzend spiritueller Sachbücher ein, die er im Laufe späterer Jahre in Autorengemeinschaft mit dem Benediktinermönch Dr. Johannes Pausch verfasste. Das erfolgreichste davon, „Was der Seele gut tut – im richtigen Rhythmus leben“, brachte es auf ein Dutzend Auflagen und erreichte Bestseller-Status.
Doch vor diesem besonderen Erfolg als Autor schlug Gert Böhm noch einmal eine letzte berufliche Laufbahn ein, als er 1990 Geschäftsführer des Frankenpost-Verlages wurde. Erst im Alter von 60 Jahren zog er sich ganz aus dem Erwerbsleben zurück. Die eine große Konstante in diesem wechselvollen Dasein war immer der „Gerch“. Unter widrigsten Umständen lieferte Gert Böhm im Laufe der Jahrzehnte Woche für Woche eine Ausgabe des Hofer Spaziergängers ab. Wohl kaum einer der Leser ahnte dabei, wo diese Geschichten überall verfasst wurden. „Ich schrieb die Texte zum Beispiel in einer Hängematte in Brasilien mit dem Kugelschreiber auf blaues Luftpostpapier“, erinnert er sich schmunzelnd. „Weil es damals noch keine Faxgeräte ab, war ich immer darauf angewiesen, dass die Post auch aus den entlegensten Ecken der Welt rechtzeitig in Hof ankam.“ Tatsächlich habe das immer geklappt: Der „Gerch“ sei kein einziges Mal ausgefallen.

Wenn man Gert Böhm heute fragt, ob er denn nun, im Alter von 80 Jahren und nach all den Reisen, die Antwort auf die große Frage nach der Unvollkommenheit des Menschen gefunden habe, antwortet er unumwunden mit nein: „Aber ich habe Demut gelernt – und vielleicht ein Gefühl für das rechte Maß im Leben gefunden.“ Das Wissen um die Zyklen und Rhythmen, die ein Dasein bestimmen, sei eine der großen persönlichen Bereicherungen, die seine Zusammenarbeit mit Dr. Johannes Pausch auch für ihn selbst bewirkt habe.
Auf die Frage, wie sich das konkret in seinem Leben bemerkbar mache, erzählt Gert Böhm eine kleine Geschichte: „Hinter meinem Haus steht eine Bank. Dort sitze ich gern mit meinem Hund Anka, der an meinen Füßen schläft und mit den Beinen zuckt, weil er vermutlich im Traum einen Hasen jagt, ich höre den Amseln zu und trinke ein Seidla Bier. Dann kann es passieren, dass ich für ein paar Sekunden in einen ganz und gar wunschfreien Zustand gelange. Dieser Zustand ohne einen einzigen offenen Wunsch ist es, den die Mönche in aller Welt anstreben. Inzwischen weiß ich, dass ich mich dafür nicht ins Flugzeug setzen muss, um mich in einem japanischen Zen-Kloster eine Woche lang vor eine schwarze Wand zu setzen. Auch ein Bänkchen im Garten kann genügen, um eine ‚Key experience‘, also eine Art Gotteserfahrung zu erleben.“ Manfred Köhler