Mehr als 45 Jahre lang war Leo Reichel, der Hauptamtsleiter der Stadt Hof, in verantwortungsvollen Funktionen der Stadtverwaltung tätig. Nun verlässt der geschäftsleitende Verwaltungsdirektor das Rathaus und tritt mit dem 31. Mai in den Ruhestand.
Mit Fachbereichsleiter Reichel scheidet der derzeit dienstälteste leitende Beamte der Stadt Hof aus dem aktiven Dienst aus. Der gebürtige Hofer ist seit jeher seiner Heimatstadt fest verbunden: Nach Besuch des Schiller-Gymnasiums Hof und dem anschließenden Studium an der Hochschule für den Öffentlichen Dienst in Bayern engagierte sich Reichel in zahlreichen Bereichen der Stadtverwaltung, zuletzt als Leiter des Fachbereichs zentrale Steuerung, Personal und Organisation. Berufsbegleitend absolvierte er ein Studium der Betriebswirtschaft an der Wirtschafts-Akademie der Universität Bayreuth sowie vor dem Bayerischen Landespersonalausschuss in München die staatliche Qualifikationsprüfung für den Höheren Verwaltungsdienst.

Während seiner jahrzehntelangen Dienstzeit brachte Leo Reichel viel Fachkompetenz auch in zahlreiche überregionale Gremien ein – als Geschäftsführer des Regionalen Planungsverbandes Oberfranken-Ost, als Gründungs-Geschäftsleiter der heute der Hochschule Hof angegliederten Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie Nürnberg und als Mitglied in maßgeblichen Arbeitskreisen des Bayerischen Städtetages München. Darüber hinaus gestaltete er zahlreiche regionale Entwicklungen mit, unter anderem im Direktionsbeirat der AOK Hof, in der Trägerversammlung des Jobcenters Hof-Stadt und im Wasserzweckverband Hof-Gattendorf.
Auf die herausragenden Ereignisse seiner Karriere bei der Hofer Stadtverwaltung angesprochen zeigt sich Reichel amüsiert: „Den viel zitierten gut bezahlten und ruhigen Beamtenjob im Rathaus habe ich beim besten Willen über fast fünf Jahrzehnte nicht entdecken können. Auf den Fall der Deutsch-Deutschen Grenze 1989 folgten 2015 die Flüchtlingswelle und nun zeitnah die Katastrophe der Corona-Pandemie, alles tief greifende Ereignisse, die vor Ort auch in Hof nur mit tüchtigem Einsatz aller städtischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie der zentralen Koordination vieler ehrenamtlicher Helfer bewältigt werden konnten.“
Selbst in den vielen Jahren zwischen diesen ganz besonderen Herausforderungen wurde es dem scheidenden Hofer Verwaltungsdirektor niemals langweilig: „In meinen fast 46 Dienstjahren durfte ich stets loyal, objektiv und neutral über alle politischen Farben hinweg gleich drei Oberbürgermeistern, ganz aktuell zuletzt sogar noch einer Oberbürgermeisterin, zwölf Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen und Dutzenden von Stadtratsmitgliedern dienen. Darauf bin ich schon ein bisschen stolz“, so der umtriebige Ruheständler. Doch so ganz ruhig wird es für Leo Reichel auch nach seiner Pensionierung nicht werden: Mit Wirkung ab 1. Juni bestellte ihn der Stadtrat Hof zum ehrenamtlichen Stadtheimatpfleger, der sich um zahlreiche örtlichen Belange wie Denkmalschutz, Brauchtum, Regionalgeschichte und einiges andere kümmern wird. Eines seiner Ziele ist es zum Beispiel, sich dafür einsetzen, dass die Sichtachse von der Ludwigstraße zum Theresiensteingebäude wieder freigelegt wird. Außerdem will er dazu beitragen, aus dem Rathausturm einen „Turm der Geschichte“ zu machen, in dem Ausstellungen für Kinder und Erwachsene beim Aufstieg die Stadtgeschichte erlebbar machen.

Im Privatleben ist der bekennende Oberfranke Leo Reichel auch in vielfältigen Vereinen aktiv, zum Beispiel im Langnamenverein und beim Angelsportverein. Nun möchte er die freie Zeit für diejenigen Dinge nutzen, die ihm während seiner ausgefüllten Berufstätigkeit nicht immer möglich waren. „Mein Wunsch wäre es, noch recht zahlreiche gesunde Jahre zusammen mit meiner Familie, die bemerkenswerte vier Generationen umfasst, und mit meinen Freunden viel Interessantes unternehmen zu können.“
Schon was die Ausbildung betrifft, hat Leo Reichel etwas Besonderes zu erzählen – begann er sein Verwaltungsstudium doch 1975 im allerersten Jahrgang der Beamtenfachhochschule Hof gemeinsam mit nur 46 studierenden Anwärtern. Die Vorlesungen fanden damals noch provisorisch im „Haus der Jugend“ statt. Was er nach der Ausbildung dann in seinen fast 46 Dienstjahren alles erlebte, spiegelt Hofer Geschichte wider, und zwar voll aus dem Leben gegriffen. Wir haben Leo Reichel gebeten, einige Anekdoten aus seinem langen Berufsleben im Hofer Rathaus zu erzählen.
Viehzählungen
Als Beamtenanwärter während des Dualen Studiums wurden wir für so ziemlich alles eingesetzt, auch für die damals noch üblichen Viehzählungen. Dazu mussten wir auf Bauernhöfe fahren und den Tierbestand erheben. Als ich einmal mit meinem uralten VW Käfer auf einem Hof in Osseck parkte, umringte mich eine mindestens 40-köpfige Gänseherde, die mich derart aggressiv anfauchte, dass ich mich nicht aus dem Auto traute und um Hilfe hupte. Die Bäuerin verjagte die Gänse dann mit ein bisschen Händeklatschen, was mich sehr blamierte. Bei den Viehzählungen gab es übrigens zu Zeiten der Hausschlachtung immer erst mal Riesenportionen Wellfleisch oder Schlachtschüssel für den zählenden Beamten, was damals noch eine gewisse Wertschätzung für unseren Berufsstand ausdrückte.
Die Punkerin
In meiner Anfangszeit war ich auch im Sozialamt tätig. Eines Tages kam eine äußerst wild aussehende Punkerin samt ihrem Frettchen zu mir. Sie setzte es mir einfach auf den Schreibtisch, wo es genüsslich am Stempelkissen leckte. Der „Paradiesvogel“ war aus Berlin-Kreuzberg wieder in die Heimatstadt Hof zurückgekehrt, um sich hier Arbeit zu suchen. Ich sagte ihr höflich, aber sehr offen, dass sie mit Irokesenschnitt, Frettchen und zerschlitzter Lederjacke wohl kaum irgendwo angestellt werden würde, und gab ihr für den Neustart aus der Sozialkasse 100 Mark, damit sie zum Frisör gehen und sich neu einkleiden konnte. Meine Kollegen schüttelten nur den Kopf über meine Gutgläubigkeit und wetteten darauf, dass die junge Frau das Geld für Drogen ausgeben würde. Aber schon eine Woche später kam sie, nun ganz adrett gekleidet mit nettem Haarschnitt, wieder zu mir und berichtete voller Freude, dass sie Arbeit gefunden hätte. Durch den kleinen Vertrauensvorschuss war es also gelungen, dass sie in die Gesellschaft zurückkehren konnte. Sie fand auch bald eine Wohnung und einen Partner. Leider starb sie dann einige Jahre später. Es hieß, sie habe sich bereits während ihrer Zeit in Berlin auf der Straße eine schwere Hepatitis zugezogen.
Die ersten Bananen
Nach der Grenzöffnung 1989 hatten wir die erste Zeit praktisch rund um die Uhr Dienst, weil die 100 Mark Begrüßungsgeld an jeden DDR-Bürger wegen des Andrangs zu jeder Tages- und Nachtzeit ausgezahlt wurde. Vermehrt sprachen bald auch Menschen mit russischem Pass vor. Wie sich herausstellte, waren das Russlanddeutsche, die teilweise seit Jahrzehnten in der DDR gelebt, aber nie einen DDR-Pass bekommen hatten. Ich entschied daher eigenmächtig, diese Besucher wegen ihres Passes nicht zu benachteiligen und auch ihnen das Begrüßungsgeld auszuzahlen. Eine übergeordnete Anweisung gab es dafür nicht. Als wir dann auch als Bundesbürger in die DDR reisen durften, besuchte ich im Januar Plauen. Dort fiel mir ein zu Tränen gerührter Mann um den Hals. Wie sich zeigte, war das der Vater einer achtköpfigen Kinderschar, der mich wiedererkannte. Dank der 1.000 Mark Begrüßungsgeld hatte diese russlanddeutsche Familie erstmals überhaupt richtig Weihnachten feiern und die Kinder mit Spielzeug und Bananen beschenken können. Das war einer der Momente, wo man sich sagt, man hat alles richtig gemacht.
Der Brunnenschwimmer
Ein Betriebsausflug in die Steinachklamm Ende der 1970er Jahre ist mir unvergessen, weil dabei ein hochrangiger Jurist auf ganz besondere Weise seinen Frust darüber auslebte, dass man ihn bei einer Beförderung benachteiligt hatte. Während sein Kontrahent mit einem Teil unserer Gruppe schon Richtung Stadtsteinach abmarschierte, forderte dieser Jurist mich und andere auf, noch zu bleiben und eine Runde auf seine Kosten zu trinken. Währenddessen organisierte er uns einen Bulldozer mit Anhänger, so dass wir später nach Stadtsteinach fahren statt wandern konnten. Dort legte er aber erst so richtig los. Er forderte den Bulldozer-Fahrer auf, hupend um den Marktbrunnen Kreise zu fahren. Die andere Gruppe mit seinem Kontrahenten, die unterdessen eingekehrt war, wurde durch den Krawall aus dem Lokal gelockt. Daraufhin sprang der Jurist voll angezogen in den Brunnen und schwamm darin herum. Damit wollte er seinem Kontrahenten zeigen, dass er mit dessen Beförderung nicht einverstanden war. Dies war ihm, pitschnass, zu unserer Gaudi auch gelungen.
Legendäre Kassenfaschinge

In den 1980er Jahren war es üblich, sich am Faschingsdienstag in der Stadtkasse zu treffen und dort gemeinsam tüchtig zu feiern. Traditionell zogen wir dann in der Polonaise Blankenese vom Rathaus hoch in die Altstadt. Zwei Kollegen machten Musik mit der „Quetschn“ und der „Klampfn“ (= Akkordeon und Gitarre) in verschiedenen Geschäften, und wir bekamen dafür zur Belohnung eine Brotzeit. Bei diesen Polonaisen schlossen sich uns oft unterwegs auch viele Bürger an. Das war eine super Zeit, an die ich mich gerne erinnere. Heutzutage wären solche Faschingsfeiern im Rathaus undenkbar. Ich vermute, die Gesellschaft hat sich in dieser Hinsicht doch recht verändert. Manfred Köhler